Justitia Jenensis

Berichte eines jenenser Strafverteidigers

23.6.06

Wirtschaftsprozess erfolgreich beendet

Am 16.06.2006 ist der hier bereits beschrieben Wirtschaftsstrafprozess beim LG Mühlhausen nach einem rechtlichen Gespräch beendet worden. Interessant dabei dürfte sein, dass die eigentliche Anklageschrift nicht vollständig verlesen wurde, sondern vielmehr eine Selbstlesung analog § 249 II StPO angeordnet wurde. In vorliegendem Verfahren war dies durchaus sinnvoll, da allein die Verlesung der Anklage, den Prozess erheblich verzögert hätte. Nach meinem Kenntnisstand, hat es eine derartige Selbstlesung einer Anklage bis dato nicht gegeben. Leider wird es zu einer obergerichtlichen Prüfung dieser Vorgehensweise in diesem Verfahren nicht kommen, da Rechtsmittelverzicht erklärt wurde. Nach meinem Dafürhalten, dürfte die analoge Anwendung des § 249 II StPO hier aber zulässig sein, da Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung stets in der Lage sind, durch Selbstlesung Kenntnis vom Inhalt einer Anklageschrift zu erlangen.

Das schreibt die "Thüringer Allgemeine" zum Prozess:

Zitat:
Kurzer Prozess

Das bisher aufwändigste Thüringer Ermittlungsverfahren gegen Wirtschaftskriminelle ist gestern nach einem Rechtsgespräch zwischen den Beteiligten überraschend beendet worden.

MÜHLHAUSEN. Auf Grund ihrer Geständnisse kamen die beiden angeklagten Betrüger mit recht milden Strafen davon. Nach einem Jahr Untersuchungshaft durften die Bosse des unter dem Namen " Marbella-Connection" bekannt gewordenen Netzwerkes für Firmenbestattungen das Gericht zunächst als freie Männer verlassen. Erst in wenigen Wochen müssen der gesundheitlich angeschlagene Berufsschullehrer (65) und ein mitangeklagter Elektroniker (46) ihre fünf- bzw. eine dreieinhalbjährige Haft antreten.

Das Urteil selbst stellte gestern Nachmittag keine Überraschung dar: Dem Gericht war es in einem Rechtsgespräch gelungen, das Duo zu einem Geständnis zu bringen. Im Gegenzug wurden rund 1200 der insgesamt 2000 Anklagepunkte fallen gelassen. Damit wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Der Prozess ging nach nur vier Verhandlungstagen zu Ende. Zudem musste die wegen ihrer Tabellenform einem Zuhörer kaum zumutbare Anklageschrift nicht weiter verlesen werden.

Allerdings hatte sich das Gericht zuvor bereits deutlich positioniert: Wenn eine Anklageschrift wie diese so schwer verständlich ist, ist ein Verlesen nicht zumutbar. Denn dann erfüllt sie keinen Zweck. Die Schöffen haben das 296-Seiten-Pamphlet zum Lesen bekommen. Alle anderen wussten, was Staatsanwalt Frank Erdt in der vierjährigen Ermittlungsarbeit festgestellt hat: Die beiden Angeklagten ließen sich den Aufkauf von Firmen, deren Umbenennung und Sitzverlegung bezahlen und dadurch Gläubiger ins Leere laufen. Die Masche haben sie mindestens 500 Mal durchgezogen - auch bei zehn Thüringer Firmen. "Die Vielzahl der Straftaten hat sich strafverschärfend ausgewirkt", brachte es der Vorsitzende Richter Axel Schur im Urteil auf den Punkt.

Übrig blieben laut Schur immer noch 338 Fälle der Falschbeurkundung und 440 Verletzungen der Buchführungspflicht. Auf die komplette Verhandlung von 500 angeklagten Insolvenzverschleppungen wurde auch deshalb verzichtet, weil der jeweilige Zeitpunkt der Insolvenz hätte ermittelt werden müssen. Drei, vier Jahre hätte das laut Schur gedauert.

Zitat Ende

5 Comments:

Anonymous Anonym said...

Habe den Prozess mit Interesse verfolgt und bin über das Ergebnis ein wenig entsetzt. Andere Mitläufer sind wohl nicht so glimpflich davon gekommen. Ich vermute, dass in Ihrem Verfahren die Verteidigung gut aufgestellt war, um ein solches Ergebnis zu erzielen.

Mittwoch, Juni 28, 2006  
Anonymous Anonym said...

Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

Mittwoch, August 16, 2006  
Anonymous Anonym said...

Dem ersten "Anonymus" kann man sich nur anschließen. Die Verteidigung - einschließlich des Herrn Kah - war gut aufgestellt und hat die Schwächen des Gerichts voll ausgenutzt. Die Ermittlungen waren - nach allem, was auch aus den anderen Verfahren bekannt geworden ist - gut, das Landgericht hätte sich nur die Mühe machen müssen, sich ernsthaft mit den Vorgängen zu befassen. Drei bis vier Jahre Beweisaufnahme zu prophezeien, war wenig sachdienlich und auch kaum zutreffend. Mit einer sachgerechten BEschränkung - nicht der tatsächlich erfolgten - hätte man sowohl echte Wirtschaftsdelikte im Sinne des §74 c GVG als auch die angeklagten Verbrechen aburteilen können wie auch natürlich zu einem deutlich höheren Strafmaß kommen können, selbst ohne geständige Einlassung in etwa 30 Verhandlungstagen. Aber die gut gemachte Pressemitteilung des Landgerichts, die in der TA gedruckt wurde, versteht es ausgezeichnet, aus dem Verfahren auch noch einen Erfolg der Justiz zu machen. Zugegebenermaßen ist es schon mehr, als etwa die Berliner Justiz bisher je in ähnlichen Fällen erreicht hat.

Mittwoch, August 16, 2006  
Anonymous Anonym said...

Gibt es für Spezialisten einen Weg ein bestimmtes Urteil zu lesen, oder steht davor der Datenschutz???

Ich würde liebend gerne ein Urteil hier in Köln lesen, die ganzen Transaktionen sind ja leicht über die Handelsbücher ersichtlich. Aber was der Richter dazu meint, und weshalb er ein wenig soziale Arbeit mit Jugendlichen angemessen findet, das wüsste ich gerne.

Zudem, ist das hier nicht wie überall. Die kleinen Chargen Leo Chavier aka Willi Leven, die Pseudogeschäftsführer bekommen ihre Haft und der Rest macht fröhlich mit anderen Dummen weiter.

Dienstag, Dezember 19, 2006  
Anonymous Anonym said...

Anonym EINS sagt: "Habe den Prozess mit Interesse verfolgt". Wieso, nach Angaben der Journalistin der Thüringer Allgemeinen, war doch gar kein Zuschauer im Saal, Herr Rechtsanwalt? Das müßten Sie doch auch festgestellt haben, Sie waren doch dabei. Wer kann also den Prozess sonst noch verfolgt haben? Und dass der erste Anonymus auch der weitere Anonymus ist, richt man förmlich. Wer ist dieser Anonymus mit den hohen Rechtskenntnissen eigentlich?
Warum lassen Sie das zu, Herr Rechtsanwalt? Verfolgen Sie doch mal die IP's, sie werden sich wundern, wer dahinter steckt!
Dass man die Kleinen fängt und die großen laufen läßt, steht anderswo auch schon. Zufall? Oder gezielt?
Da reimt sich einiges zusammen!

Dienstag, Februar 26, 2008  

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